Märchen aus der neuen Zeit
Anders als es die Mode jener Zeit nahegelegt hätte, hat E.T.A. Hoffmann sein 'Mährchen aus der neuen Zeit', so der Untertitel vom 'goldenen Topf', in die Alltagswelt verlegt. Dieser Kunstgriff einer Phantasiegeschichte, die, »f]eenhaft und wunderbar aber keck ins gewöhnliche alltägliche Leben tretend«, seine Gestalten ergreift und sie zu Grenzgängern zwischen nüchterner und phantastischer Welt macht, bestätigt den literarischen Rang des Kunstmärchens: Weder greift es die Form des Volksmärchens auf noch versteigt sich der Autor in Bildwelten fern jeglicher Realität. Das Einbrechen des Phantastischen in den Alltag hat sich als angemessenes Mittel erwiesen, amüsante wie verstörende, ja bisweilen sogar beklemmende Spannung zu erzeugen. Reich an intertextuellen Bezügen und musikalischen Anklängen ist 'Der goldene Topf' selbst vielfache Inspirationsquelle für Literaten, Musiker und Illustratoren geworden.
Der Student Anselmus steht zwischen zwei Welten: der bürgerlichen, philisterhaften
auf der einen Seite und dem Reich der Poesie auf der anderen. Am Himmelfahrtstag
sitzt er in Dresden am Elbufer und vernimmt die Stimmen von drei >>Schlänglein<<.
Anselmus glaubt, dass Wahnsinn oder Krankheit in ihn gefahren seien. Er
beruhigt sich erst, als er abends einer fröhlichen Runde um den Registrator
Heerbrand und Konrektor Paulmann, dessen Tochter Veronika sich für den
Studenten interessiert, beiwohnt. Der Archivarius Lindhorst führt ihn jedoch
erneut in das Reich des Wunderbaren. Die drei Schlänglein seien seine Töchter,
in deren jüngste, Serpentina, sich Anselmus verliebt. Er begegnet ihr,
einer sonderbaren Gestalt, mal Schlange, mal Mensch, im Haus des Archivars
wieder. Hier betrachtet Anselmus auch erstmals den Glück bringenden goldnen
Topf, in dessen Glanz sich die verschiedensten Figuren spiegeln. Serpentina
erklärt ihm, dass Lindhorst, mit einem Fluch behaftet, solange eine Doppelexistenz
als Salamander führen müsse, bis seine Töchter verheiratet seien. Ein Apfelweib
erscheint, raubt den goldnen Topf und sucht zu verhindern, dass Anselmus
zunehmend mit dem Reich des Fantastischen in Berührung kommt. Sie macht
ihn glauben, dass er Veronika liebe, und versetzt ihn zurück in die Welt
der bürgerlichen Sphäre. Als Anselmus ein Manuskript mit Tinte bekleckst,
erfüllt sich ihre Prophezeiung: Anselmus fällt ins Kristall - die Bibliothek
ist voller riesiger, Feuer speiender Schlangen und Anselmus ist darin gefangen.
Hier erkennt er die Bedrohung der bürgerlichen Enge und will sich für immer
in das Reich Serpentinas begeben. Lindhorst überwältigt das Apfelweib in
wüstem Kampf. Anselmus und Serpentina finden sich in Atlantis wieder, beschützt
vom goldnen Topf, der das goldene Zeitalter symbolisiert.