Sumaya Farhat-Nasers Buch »Verwurzelt im Land der Olivenbäume« ist im Zeichen eskalierender Gewalt und wachsender Perspektivlosigkeit entstanden. Es beschreibt die erdrückenden palästinensischen Erfahrungen im Schatten des sogenannten Friedensprozesses mit Israel und vermittelt Einblicke in die palästinensische Gesellschaft, ihre politischen und sozialen Strukturen sowie in die Probleme ihrer Führung. Es berichtet zudem aus dem Innern der palästinensisch-israelischen Frauen-Friedensarbeit, dokumentiert anspruchsvolle Dialoge und Konfliktgespräche und analysiert die gegenseitigen Geschichtsmythen und ihre Wahrnehmung. Damit ist der Autorin ein einzigartiges Bild der alltäglichen Mühen um Frieden und Gerechtigkeit gelungen, die kein Medienthema sind, die aber auf nachhaltige Weise jene Netze knüpfen, auf die eine politische und soziale Verständigung dereinst angewiesen sein wird.
Kleo führt ein bürgerliches, angepasstes Leben - bis zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag, an dem sie beschließt, dass sich etwas ändern muss. Während Zürich in einem apokalyptischen Hitzesommer zu schmelzen scheint, verkriecht sie sich in ihrer Wohnung und verwandelt sich langsam in ihr verwildertes Alter Ego Leoparda. Aus einem Sonnenbrand entsteht ein fleckiges Hautmuster, ihre Zähne werden immer spitzer, bald huscht sie nur noch nachts nach draußen. Als Raubkatze sucht sie die Menschen aus ihrer Vergangenheit heim: Adriano vom Tinder-Date, ihre Ex-Psychologin und beste Freundin Feli, die sie ständig belehrt, ihre Schülerinnen und Schüler, deren Teilnahmslosigkeit sie ärgert, und auch ihre Eltern, deren blankpolierte Glücksfassade endlich Risse bekommt. Leoparda teilt ihre Abenteuer auf Social Media, wo sie zum Star wird, während die alte Kleo immer mehr verschwindet. Anja Schmitters Debütroman ist ein furioser Seiltanz zwischen Imagination und Realität. In originellen Bildern und mit gesellschaftskritischem Blick erzählt sie vom Ausbrechen aus der Normalität, von Identitätssuche und Emanzipation.
Matylda Zelichowska, 58, ist nach ihrer Scheidung Multimillionärin geworden. Sie hat ein bewegtes Leben hinter sich, ist eine schillernde, manchmal nervige, sensible, phantasievolle, aber auch selbstkritische Person. Nachdem unvorteilhafte Bilder über sie in der Klatschpresse erschienen sind, erleidet sie einen psychischen Zusammenbruch und verkriecht sich in ihrer Luxuswohnung. Auch mit ihrer besten Freundin, der Galeristin Antonia, gerät sie in Konflikte. Täglich tröstet sie sich mit der Beobachtung des Flusses, der unter ihrem Fenster vorbeifließt, gießt ihre Pflanzen, isst wenig, trinkt viel Alkohol. Ab und zu vergibt sie Gelder durch ihre Stiftung zur Förderung von Kunst und Literatur. Die Arbeit ermüdet und langweilt sie. Zuweilen wandert sie nachts durch die Stadt und wird dabei Zeugin seltsamer Machenschaften. Um der wachsenden Einsamkeit zu entfliehen, reist Matylda in ihr Heimatland Polen. Der Besuch bei ihrer Tante und die Spurensuche im Schatten der Vergangenheit ihrer Familie gestalten sich schwierig. Nichts ist mehr so, wie sie es sich vorgestellt hat. Matylda muss sich endlich ihren Dämonen stellen. Ein unterhaltsamer, humorvoller, zeitgeistig stimmiger Gesellschaftsroman.
In einem abgelegenen Bergdorf lernt die Journalistin Vera einen jungen Fremden kennen. Sie schreibt an einem Artikel über rätoromanische Literatur, er hat ein altes Haus geerbt und versucht seine Kriegserinnerungen hierhin zu verbannen. Die beiden treffen sich zu Spaziergängen, essen zusammen in der Dorfbeiz und erzählen sich nach und nach mit wenigen Worten von ihrer Vergangenheit. Kálmán erinnert Vera an ihre ältere Schwester Sophia, die ihrerseits in einer eigenen Welt lebt. Als Sophia zu Besuch kommt, begegnet auch sie dem geheimnisvollen Kálmán, und es entsteht eine überraschende Verbindung, die beide verändert. Mit starken Bildern erzählt Gianna Olinda Cadonau von der Begegnung traumatisierter Menschen. Ein Roman, der ohne Erklärungen auskommt und gleichzeitig Unsagbares sichtbar macht. Ein universelles, beeindruckendes Debüt. Der Roman wurde 2022 mit dem Studer/Ganz-Preis für das beste unveröffentlichte Debütmanuskript ausgezeichnet.
»Sarâja, das Dämonenkind« ist - nach »Der Peptimist« und »Das Tal der Dschinnen« - der dritte und letzte längere Prosatext des 1996 verstorbenen grossen palästinensischen Autors Emil Habibi. Der Titel geht zurück auf eine alte palästinensische Legende von einem Mädchen, das von einem Dämon entführt und auf ein Schloss hoch oben in den Bergen gebracht wird. Ihr Cousin und Geliebter kann Sarâja, die inzwischen zu einer jungen Frau herangereift ist, schliesslich retten, indem er an ihrem langen Zopf hochklettert und dem Dämon ein Schlafmittel in seinen Trunk mischt. Auf der Suche nach seiner verlorenen Jugendliebe Sarâja beschwört der Ich-Erzähler, dessen Beruf das Angeln und dessen liebstes Hobby die Literatur ist, seine Kindheit in Palästina herauf und geht den Leidensweg zurück an die Stätten seiner Jugend in Haifa, die grösstenteils von den Israelis zerstört wurden. Erst im Herbst seines Lebens, als er bereits ein alter Mann geworden ist, findet er Sarâja wieder. In seiner stark autobiographisch gefärbten Geschichte erweist sich der »Meister der Ironie und des Spotts« (Tahar Ben Jelloun) auch als Meister der Poesie.
Nominiert für den Schweizer Buchpreis 2021. Ein Mann erscheint mitten in der Nacht auf einem Polizeiposten und erzählt, wie sein bislang eintöniges Leben aus den Fugen geraten ist. Jahrzehntelang hat er fu?r einen wohltätigen Verein gearbeitet, jetzt wird er plötzlich wegen Unregelmäßigkeiten bei der Geldvergabe verdächtigt. Und nicht nur das: Im Hinterzimmer seines Bu?ros, in dem er zeitweise selbst hauste, lässt er neuerdings die illegal arbeitende Putzfrau Mira wohnen. In seinem wahnwitzigen Bericht, dessen Charme und Menschlichkeit aber selbst den Polizisten nicht kaltlassen, entsteht das Portrait eines modernen Antihelden, der einen u?berraschend fröhlichen Nihilismus zum Besten gibt. Thomas Duartes Debu?troman ist ein skurriles Erzählfeuerwerk, eine melancholisch-humoristische Poetik des Scheiterns. Er wird bevölkert von kauzigen Figuren, die auf vielfältige Weise die Absurdität der Lebens- und Arbeitsbedingungen in unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft spiegeln.